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Tag 41 (01.07.2016): …emotionaler Wendepunkt der Reise!

Wir werden morgens von strahlendem Sonnenschein und böigem Wind geweckt.

Bis alles wieder dort ist, wo es hingehört dauert es – lustigerweise treffen wir andauernd erneut auf Robby und Stefan, die fast exakt zeitgleich mit den identischen Problemen kämpfen: Klo, Duschen mit defektem Warmwasser, Abwasser entsorgen und Frischwasser tanken und dazwischen müssen wir noch die restliche Wäsche trocknen und Malu macht noch einen schnellen Powernap.

Das Team Campofant hat mit Flakstad den für sie südlichsten Punkt auf den Lofoten erreicht und sie wollen langsam gen Norden wieder zurückfahren.

Wir empfehlen ihnen unseren Stellplatz der vorletzten Nacht und witzeln herum, dass wir uns vielleicht ja abends dort noch einmal treffen könnten.

Eine schöne Idee, wie ich finde. Eine sehr schöne sogar.

Dennoch müssen wir erst den vermutlich schwersten moralischen Schritt gehen, den diese Reise für uns birgt: wir müssen nach Reine. Wer es nicht kennt: Reine ist der Inbegriff der Lofoten – DAS Klischee-Dorf! Reine ist der Ort, den wir bisweilen nur von Bildern kennen, aber wir – seit wir uns kennen – davon träumen, einmal dorthin zu reisen. Reine ist das heimliche Ziel der Reise und gleichzeitig ist das der moralische Wendepunkt: ab dort befinden wir uns auf dem Rückweg.

Dreißig Kilometer entlang der schönsten Landschaft trennen uns davon – ein denkbarer Moment. Nachdem wir das Gelände des Campingplatzes verlassen haben, folgen wir der E10 weiter gen Süden. Nicht lange, denn eine Kurve später verschlägt es uns den Atem: vor uns liegt Ramberg und noch genauer der Rambergstranda: ein sichelförmiger mit feinem weißem Quarzsand übersäter Strand liegt leicht unterhalb der Straße und schmiegt sich gänzlich unwirklich in die Komposition der Natur aus hellblauem Meer und saftig grünen Wiesen vor imposanten Gebirgsformationen ein. Es ist so perfekt, dass man es eigentlich nicht in Worte fassen kann. Einzig der kalte Wind hält mich davon ab, mich mit Handtuch und Badebuxe dem unaufhaltsam näherrückenden Scheitelpunkt der Reise in den Weg zu werfen, denn eigentlich fühle ich mich noch nicht dafür bereit. Ich will nicht, dass das zu Ende geht, aber ich kann es offenbar nicht aufhalten.

Lani zeichnet liebevoll einen Oscar in den nassen Sand, bevor wir schlussendlich doch weiterfahren. Ein eingeschobener kurzer Einkaufsstopp schafft es als einziges, noch einmal den „Hinweg“ der Reise künstlich zu verlängern.

 


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Hamnøya ist einer der ersten Vorboten, dass wir bald am Ziel ankommen werden: ein kleines verschlafenes Nest, das zwar namentlich sehr wenig erwähnt wird, allerdings sind die Fotos von dem Dorf fast ebenso häufig zu bewundern, wie die von Reine. Letzteres erreicht man nur, wenn man der Europastraße weiter folgt – in diesem Fall bedeutet das, dass man sich an der Ampel anstellt und darauf wartet, die einspurige Brückenkombination überfahren zu dürfen. Schließlich ist es soweit: im Schein der Nachmittagssonne taucht vor uns Reine auf.

Andächtig lenke ich Oscar über eine kleine Brücke auf die Spitze des Felshaufens, auf dem das kleine Fischerdorf errichtet wurde. Ein Wohnmobilparkplatz befindet sich im Nordosten an einem Pier. Knapp 300 Einwohner hat das Dorf, dessen historischer Ortskern eine Tankstelle mit Nebengeschäften ist, die sich allerdings als Ansammlung kleiner roter Fischerhäuschen tarnt. Fischfang zählt nach wie vor und gemeinsam mit dem Tourismus zu den wichtigsten Einnahmequellen.

Andächtig laufen wir durch die kleinen roten Fischerhäuschen, die man auch hier inzwischen als Ferienhaus mieten kann.

Hier sind wir nun also. Annika läuft mit Lani vorneweg, Malu macht ihr x-tes Schläfchen in der Trage vor meinem Bauch. Ich genieße die Stille und merke, wie ich doch und völlig unbegründet melancholisch werde.

„Da sind wir nun!“ meine ich zu Annika. Gemeinsam können wir jetzt einen Punkt aus unserer „Bucket List“ streichen, aber irgendwie möchte ich das gar nicht. Ich möchte nicht mit dem Traum vom hier-herkommen abschließen.

Und es fühlt sich nicht an, als hätten wir einen Meilenstein erreicht – viel mehr habe ich das Gefühl, als hätte ich mir selber genau jetzt meinen Traum zunichte gemacht. Wohlwissend, dass wir es so schnell nicht wieder schaffen werden, hierher zu kommen.

 

Einundvierzig Tage hat es nun gedauert, bis wir tatsächlich an dem Punkt stehen, an dem wir seit Jahren stehen wollen. Klar würde es schneller gehen. Bestimmt könnte man innerhalb von wenigen Tagen über Finnland hier hoch düsen und natürlich hätten wir nicht noch komplett Fjordnorwegen anschauen müssen. Ich habe Angst, dass ich zwar gerade hier bin, aber ich diesen – für mich – magischen Ort nicht in dem Maße in mich aufsaugen kann, als dass ich tatsächlich einen moralischen Haken daran machen könnte. Im Gegensatz dazu steht das Wissen, dass diese Reise vermutlich nie wieder reproduzierbar ist. Und man mal nicht eben schnell in den nächsten paar Jahren auf die Lofoten jetten kann, um den persönlichen „Reine-Akku“ wieder aufzuladen. Beim Umherschlurfen und andächtig Fotos machen halte ich mir vor Augen, dass es vielleicht einen Moment dauert, bis ich das alles und das „Hiergewesensein“ für mich realisieren und verarbeiten kann. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf stehen wir plötzlich wieder vor Oscar. Ein bisschen ärgere ich mich, dass wir nicht früher hier gewesen sind, denn der Stellplatz ist in keinem unserer Apps und Reiseführer vermerkt. Gerne hätte ich noch meinen Gedanken über eine Nacht hier nachgehangen, aber wir sind inzwischen mit Robby und Stefan auf unserem Lieblingsstellplatz in Uttakleiv verabredet und die Wahrscheinlichkeit, heute Nacht tatsächlich auch um Mitternacht die Sonne zu sehen ist gut.

Während ich ein paar Dinge in Oscar umherräume, taucht vor der Tür plötzlich eine schwäbische Mutter samt ihrem Sohn auf, der sich riesig freut, andere Kinder (Lani) zu treffen. Lani ist nicht sonderlich von ihrer neuen Bekanntschaft überzeugt – ich auch nicht. Die Frau ist nahezu entsetzt, dass wir so viel Zeit haben und vor allem gebraucht habe, um so weit in den Norden zu kommen. Sie schwäbelt Annika vor, dass sie in nur 5 Tagen bis hier hoch gefahren seien – sie hätten ja schließlich auch nur 3 Wochen Urlaub. Ich stelle mir indes die Frage, ob sie ihr Kind in der Zeit an den Rücksitz gefesselt haben oder anderweitig ruhig gestellt haben, um diese Strecke in der Zeit abspulen zu können. Darüber hinaus muss ich mir eingestehen, dass ich das vor der Tür gerade stattfindende und für mich „pietätlose Gequatsche“ nicht ertragen kann und ziehe es vor, ein bisschen aus dem Fenster zu träumen und dabei das leise Schnarchen von Malu zu genießen. Unweigerlich lande ich kurze Zeit später wieder bei der Frage, ob sich diese Reise hierher gelohnt hat, doch ich finde keine Antwort.

Doch zum Glück und meiner Erleichterung verschwinden die schwäbische Mutti und ihr Sohn wenige Zeit später wieder in ihrem Wohnmobil. Diese Familie werde und will ich nicht verstehen und wir brechen auf.

Aus unerfindlichen Gründen steigert sich meine Laune wieder mit jedem Meter, den wir uns von Reine entfernen und ich freue mich sogar auf Uttakleiv. Kurz bevor wir am Ziel ankommen erhalten wir von Robby die Nachricht, dass unmittelbar neben ihnen und somit in der „vorderen Reihe“ soeben ein Stellplatz frei geworden ist. Wir beeilen uns. Oscar flitzt durch den Tunnel, das Kleingeld für die Stellplatzgebühr halte ich abgezählt in der Hand. Beim Bezahlen (Einwerfen in eine Art Spendendose am Wegesrand) überholen wir noch zwei Autos voller unentschlossener Senioren, der vor uns fahrende BMW lässt sich wohl von unserer Staubwolke beeindrucken und biegt auf den erstbesten freien Platz ab. Der Weg bis ganz ans Ende ist frei und tatsächlich hat „Fanti“ freundlicherweise so gut die Sicht versperrt, dass eben jener Stellplatz in direkter Nachbarschaft zu unseren Freunden noch frei ist.

Das Grinsen bis zu den Ohren kann ich nicht leugnen. Wir hüpfen aus dem Auto und begrüßen Robby, Stefan und Emmy. Zum Abendessen mache ich eine große Schüssel Tomatensalat, in dem andächtig das teuerste Stück Schafskäse verschwindet, das wir jemals gekauft haben (40 NOK – etwa 4,35€). Mit Stefan bin ich noch am diskutieren, wer wen auf welches Getränk einladen darf, bis er mir mit einem freundlich-bayerischen „Da! Prost!“ eine Dose „Isbjørn“ (norwegisches Bier) in die Hand drückt. Gemeinsam stehen wir am Rand der vor uns abfallenden Küste und blicken in die langsam sich dem Horizont nähernde glutrote Sonne – wohlwissend, dass sie nicht untergehen wird. Stefans „Ach, ist das schön!“ kann ich nichts hinzufügen. Jetzt verstehe ich die Norweger, die mit „Utepils“ tatsächlich ein eigenes Wort für „draußen Bier trinken“ haben.

Nachtrag vom 22.03.2017:

 

Hat es sich gelohnt?

 

Muss man tatsächlich über 3.000 km mit einem Wohnmobil durch Nordeuropa fahren, um ein 300-Seelen-Dorf zu besuchen um dann – warum auch immer – unglücklich zu sein?

 

Allemal und in jedem Fall Ja!

 

Wir sind bis dahin in den fünf Wochen bis wir in Reine angekommen sind als Familie so viel näher zusammengewachsen, wie wir es uns vorher nicht hätten vorstellen können. Wir hatten einerseits qualitativ hochwertige Zeit gemeinsam und haben gleichzeitig bis dato in Rekordzeit so viele Erlebnisse gesammelt, die wir erst alle für uns selber verarbeiten mussten – egal ob klein oder groß.

 

Fünf Monate später wird mir klar, dass wir mit dieser Reise unseren Horizont ein Stückchen erweitert haben und dadurch gelernt haben, dass nichts unmöglich ist. Klar war die Möglichkeit, diese Reise zu machen ein riesiges Geschenk, für das ich unendlich dankbar bin. Aber vielleicht ist das kleine Örtchen in Nord-Norwegen gar nicht so weit entfernt. Wer weiß, wie und wann wir wieder zusammentreffen werden.

 

Aber in Erinnerung bleibt ein atemberaubend schöner Landstrich und der Anblick der Fotos lässt uns in den Erinnerungen an diese Reise schwelgen.

Comments

  • 22. März 2017

    Ein super toller Bericht von euch, wie immer 🙂 Wir haben die Zeit mit euch sooooo genossen und hoffen, dass wir uns eines Tages irgendwie irgendwo wieder über den Weg fahren 🙂
    Ganz liebe Grüße an euch alle aus Portugal 🙂

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