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Tag 30 (20.06.2016): Oscar (wieder fit) und die Pseudo-Einöde

Unseren Wecker für 07:30Uhr verschlafen alle – war es doch gestern wieder einmal 02:30 Uhr bis wir im Bett waren. Aber um 09:00 Uhr werden wir von einer lärmenden Schulklasse auf dem Weg zum Schwimmunterricht geweckt. Mit ihrer Paradiesbucht erziehen die Norweger bestimmt ihre Kinder zur Genügsamkeit, aber so wirklich paradiesisch sieht der Küstenabschnitt eine Ecke neben dem Industriehafen nicht aus.
Wir beginnen unsere To-Do-Liste mit einem Frühstück beim WLAN-Supermarkt um danach zur Werkstatt zu fahren. Als der nette „Serviceberater“ sich selbst mit einem Stirnrunzeln die Frage stellt, wann sie sich unserem Problem annehmen können, schwant mir Böses. Als ich daraufhin die Frage gestellt bekomme, ob „maybe in one hour“ in Ordnung wäre, bin ich nur einen Hauch von einem Lachanfall entfernt, hatte ich mich Sekunden vorher noch versucht, mich seelisch und moralisch auf Wartezeiten mit der Einheit „Tage“ vorzubereiten… Lachend bestätige ich den Termin und erkläre, dass wir dann noch kurz Gas tanken fahren und dann zurückkehren werden.
Kurze Zeit später verfügen wir auch noch über eine neu befüllte Gasflasche, denn das Füllen geht tatsächlich so einfach, wie es der Betreiber der landesweit verteilten Flüssiggastankanlagen bewirbt!


Exakt 55 Minuten später stehen wir erneut auf dem Hof der Werkstatt. Zu meiner Verwunderung lädt mich der Mechaniker ein, dass ich gerne mitkommen kann, wenn ich mag. Über diese Transparenz und Offenheit bin ich genauso verwundert wie begeistert und wenige Minuten später hängt Oscar mit Sack und Pack zwei Meter über dem Boden auf der Hebebühne und Lani kann ganz interessiert Oscar von unten anschauen. Ich zeige Lars („Larsch“ gesprochen) die Stelle, wo das Öl tropft. Er inspiziert alles genau um mir anschließend Taschenlampe und Spiegel in die Hand zu drücken, damit ich mir das Ganze selbst anschauen kann. Diagnose: Dichtung vom Ölkühler defekt. Jedes Detail bespricht er mit mir und ich übersetze für Lani, die wissen will, „was der Mann geredet hat“.
Was selbst Lars nicht für wahrscheinlich hält, wird wahr und so ist ein Exemplar der Spezialdichtung für das 18 Jahre alte Auto im Lager vorrätig – Wahnsinn! Das bedeutet: keine Wartezeit, es kann direkt losgehen!

Und so steht Oscar weitere 55 Minuten nach unserem Eintreffen mit einer neuen Dichtung wieder auf dem Hof und unsere Reisekasse ist 1.250 NOK (ca. 135€) ärmer. Die triefende Nase ist geheilt, es kann weitergehen!
Wir verlassen Steinkjer bei strahlendem Sonnenschein nach Norden über die E6. Bisweilen müssen wir aber feststellen, dass unsere Vorstellung von steppenartiger Einöde gänzlich falsch ist: andauernd durchfahren wir kleine Dörfer und Siedlungen mit und ohne Supermärkte und Tankstellen. Die Abstände dazwischen werden zwar größer je weiter wir uns dem Polarkreis nähern, aber irgendwie ist doch immer noch irgendwas oder irgendwer.


Aber mehr und mehr tauchen um uns herum Motive auf, die hervorragend für kitschige Fototapeten mit dem Titel „Kanada“ aus dem Baumarkt herhalten könnten auf, aber all das ist erstens echt und zweitens Nordeuropa! Das soll keine Abwertung der nordamerikanischen Natur sein, aber wer in Mitteleuropa von kilometerlangen geraden Straßen träumt, die in leichten Wellen harmonisch dahinfließt und man im Licht der tief stehenden Abendsonne an skurrilen Felsformationen, saftigem Moos, kargen Birken und tiefgrünem Nadelgehölz vorbei gleitet, sollte sich in sein Auto setzen und losfahren. Einzig der Reiz des transatlantischen Seins wird nicht befriedigt und „Norwegen“ sieht auch bestimmt nicht ganz so hip wie „Kanada“ im Portfolio an besuchten Ländern aus. Und während ich mich bedeckt halten muss, da ich bisweilen noch nie den europäischen Kontinent verlassen habe, bestätigt Annika meine subjektive Einschätzung, die nunmehr zum siebten Mal Norwegen bereist und auch eine Ecke Kanada bereits gesehen hat.
Mitten im Nichts taucht plötzlich vor uns die „Nordlandsporten“ auf: ein ansich unspektakulärer, die Straße überspannender Torbogen, der verrät, dass man sich fortan in Nord-Norwegen befindet. Dennoch erfreut sich der Bogen großer Bekanntheit, ist er doch ein beliebtes Fotomotiv.
Und so machen auch wir ein paar Klischee-Schnappschüsse, bevor wir weiterfahren.


Auf der Suche nach einem Plätzchen für die Nacht sehen wir etwa eine halbe Stunde Fahrtzeit weiter nördlich vor einer Kurve einige weiße Wohnmobile am östlichen Ufer eines Sees, die in der Abendsonne geradezu aus dem Baumbewuchs heraus zu leuchten scheinen. Wir fahren ebenfalls von der Straße ab und identifizieren die Ansammlung von Fahrzeugen als offiziellen und öffentlichen Stellplatz. 100 Kronen sind in einem Umschlag in einen rostigen stählernen Briefkasten zu werfen, was wir in Anbetracht eines Plätzchens in der ersten Reihe am Seeufer auch gerne tun.
Den Abend über entstehen unzählige Fotos, da sich im Minutentakt die Färbung und Schattierung des Himmels und der Wolken ändert. Um 02:30 wird das letzte Panoramafoto aufgenommen, dann gehen wir ins Bett.

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