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Tag 39 (29.06.2016): (Sonnen-) Licht am Ende des Tunnels

Guten Morgen Henningsvær!

Ob wir nun Glück oder Unglück mit dem Wetter haben ist relativ und sei erst einmal dahingestellt: es ist bewölkt, aber es regnet zumindest nicht. Nach dem Frühstück drehen wir noch eine Runde durch das kleine Örtchen, denn wir haben noch eine Mission: wir brauchen eine Mütze! Der heimliche, hiesige Exportschlager ist nicht wie erwartet ein Fischereiprodukt – NEIN, es sind Mützen. Zumindest trifft das für unseren kleinen Kosmos zu, denn vor vielen Jahren habe ich Annika eine Strickmütze zu Weihnachten geschenkt, die sich damals HIER auf den weiten (Post-) Weg bis zu uns nach Hause gemacht hat, fast drei Wochen unterwegs war und noch heute leicht nach Schaf riecht.

Haddock“ ist in Henninsvær beheimatet und unter der Firmenadresse findet man einen Klettershop, dessen eine Ecke vor einer schier riesigen Auswahl von Mützen zu platzen scheint. Inzwischen werden die Kopfbedeckungen zwar in Nepal und nicht mehr auf den Lofoten gestrickt, aber dennoch handelt es sich immer noch um charmante und in Handarbeit gefertigte Stücke. Lani hat sich eine Mütze „wie die von Mama“ gewünscht – den Wunsch erfüllen wir ihr gerne. Die Mission wird mit dem Erwerb einer rot-melierten Interpretation eines gestrickten Wikinger-Helmchens und einem vor Freude strahlenden Kind beendet. Nun kann man auch in Anbetracht des Wetters von Glück reden: würde die Sonne scheinen, würde Lani mit dem Wollhelmchen bestimmt zerfließen, denn das neue Accessoire wird getragen – komme was wolle.

Kurz darauf verlassen wir Henningsvær und folgen der E10 weiter gen Vestvågøy (die nächste und südwestlich angrenzende Insel). Entlang der Küstenstraßen haben wir fast freie Sicht auf das Meer – sofern es das Wetter zulässt: zwischen den diesigen Abschnitten zeigen sich am Horizont dramatische Wolkenformationen in Grau und Dunkelblau, während sich am Fahrbahnrand Gras und Moos mit Felsen abwechseln, dazwischen leuchten die Flachwasserbereiche der Fjorde im altbekannten Türkis auf.

Unser nächstes Ziel ist Haukland. Genauer gesagt: Haukland Beach! Dass aber Haukland und Haukland Beach rein gar nichts miteinander zu tun hat und beides tatsächlich über 20 Kilometer voneinander entfernt ist, führt zu Verwirrung. Auch unter größter Anstrengung lässt sich auf dem Satellitenbild rund um Haukland kein „schöner Sandstrand“ entdecken, der in Anbetracht des tristen Wetters vermutlich sowieso nicht mit den gewünschten optischen Anreizen glänzen kann, weshalb wir uns dafür entscheiden, stur weiter der E10 zu folgen.

Wenige Kilometer weiter fahren wir an einer Abzweigung vorbei, an der es nach Unstad geht: die Bucht stellt ein weiteres Phänomen der Lofoten dar und ist ein arktischer Surfspot. Außerdem wurde uns das Örtchen wenige Tage zuvor noch von Nik und Janina ans Herz gelegt. Bedeutet: Vollbremsung, Wendemanöver einleiten und zurück marsch, marsch. Die Straße ist marginal breiter als Oscar und nach etwa 9km Gezuckel fahren wir auf einen nicht ansatzweise breiteren Tunnel zu. Der Tunnel ist typisch norwegisch schlecht beleuchtet und dunkel, aber erschwerend kommt hinzu, dass man bei diesem Exemplar nur hoffen kann, dass einem niemand entgegenkommt. Aber die Strecke ist so wenig befahren, dass wir ungeschoren auf der gegenüberliegenden Seite ankommen. Hier offenbart sich dafür dann ein kleines Wunder: über dem sich vor uns öffnenden Talkessel erstreckt sich blauer Himmel und Sonnenschein, geradeaus ist das Meer. Die Straße endet vor einem Surfshop und wird nur noch als Schotterpiste fortgeführt. Das Stadtbild zeichnet sich ab hier, durch Fußgängerverkehr aus, die Kleiderordnung zielt klar auf den Neoprenanzug ab und als Accessoire trägt man hier gerne ein Surfboard unter dem Arm.

Ich muss lachen, so absurd ist die Tatsache, dass wir unter einer verhangenen Wolkendecke auf der einen Seite in den Tunnel hineingefahren sind und auf der anderen Seite in Sonnenschein hinausfahren und in der arktischen Version von Hawaii „stranden“. Ein kräftiger Westwind arrangiert surffähige Bedingungen und so tummeln sich im eisigen Wasser Scharen von Surfern und versuchen die Brecher zu bezwingen. An den nördlichen Berghängen quillt das schlechte Wetter der anderen Seite hinüber, doch es kommt nicht weit: wie ein Walze rollt die Wolkendecke über den Bergkamm um sich auf halber Höhe aufzulösen. Es sieht aus, als ob dort eine riesige Portion Zuckerwatte gesponnen werden soll – nur das Holzstäbchen fehlt…

Zwar kann ich leider nicht surfen, aber die Faszination für diesen Sport ist bei mir seit Jahren ungebrochen und machen wir selbstverständlich hier einen längeren Stopp. Einzig hätten wir vorher einen Ver- und Entsorgungspunkt anfahren und einkaufen müssen, um auch die Nacht hier verbringen zu können, aber erst einmal hüpfen wir an den Strand und schauen dem Treiben und den Wellen zu.

Lani ist die Erste, die die Füße im Wasser hat. Nur kurz. Genau genommen auch nur für Sekundenbruchteile, denn dann flitzt sie quietschend und vor den Wellen flüchtet wieder den Strand hinauf. Malu entscheidet sich für ein Schläfchen im Sand, was den Bau einer Sandburg ermöglicht. Annika passt auf, dass niemand weggeweht wird.

Als dann endlich alle durchgepustet sind und auch der Wind leicht gedreht hat, sodass die Brandung zwischenzeitlich „unsurfbar“ wurde und sich der Strand daraufhin wieder geleert hat, machen wir uns auf den Weg zurück zu Oscar. Lani wird kurz auf der Heckbox warm abgebraust und von Sand befreit, dann fahren wir wieder los. Eigentlich will ich nur alle Tanks befüllen bzw. entleeren, kurz etwas zu Essen einkaufen und dann genau an die gleiche Stelle wieder zurückkehren, aber Annika findet die Stelle nicht ganz so toll zum Übernachten. Zumindest hat es das gute Wetter geschafft, sich inzwischen auch auf der anderen Tunnelseite durchzusetzen.

Wir erledigen erst unser Pflichtprogramm, danach überredet mich Annika, noch einmal das Projekt „Haukland Beach“ in Angriff zu nehmen. Widerwillig stimme ich dem zu, drohe aber an, dass ich auf der Stelle umdrehen und nach Unstad zurückfahren werde, wenn dort nicht die Sonne scheine. Inzwischen ist es auch schon Abend geworden und die Sonne hat merklich an Höhe verloren. Als wir am Haukland Beach ankommen, breche ich mit einem Lachanfall fast zusammen: der vermeintliche Stellplatz „mit bestem Blick auf die Mitternachtssonne“, den Annika aus den Tiefen der Stellplatz-Apps gezaubert hat, liegt am Fuße eines Berges – auf der süd-östlichen Seite – Mitternachtssonne hat dieser Spot bestimmt noch nie gesehen.

Als ich gerade schon wieder in Richtung Klein-Hawaii umdrehen will, entdecke ich erneut einen kleinen, schlecht beleuchteten, einspurigen Tunnel, der geradeaus in das Bergmassiv führt. „Wenn hier Schatten ist, ist auf der anderen Seite…“ – weiter komme ich nicht, Annika fährt mir mit „Fahr!“ und einem Grinsen über den Mund. Am anderen Ende des Tunnels kann auch die Sonnenblende von Oscar nichts gegen die tief stehende, goldene Abendsonne ausrichten – mit zugekniffenen Augen biegen wir am Ende der Straße auf einen Schotterweg ab, eine einfache Spendendose kassiert den Obolus für die Benutzung des Parkplatzes und hier sind wir tatsächlich am Ziel: Uttakleiv. Inmitten von direkt am Ufer gelegenen Schaf-Weideland liegt auf einer erhöhten Düne ein kleiner Parkplatz, auf dem sich ein paar Wohnmobile tummeln. Unterhalb haben die Schafe den Rasen auf ein akkurates englisches Golfplatzniveau getrimmt, darauf verteilen sich ein paar Picknickgarnituren, Feuerstellen und ein paar Zelte. Von hier aus hat man freie Sicht über das Meer nach Norden und wir genießen den Ausblick. Leider schiebt sich pünktlich um 23:00 Uhr ein Wolkenband vor die Sonne und versperrt die Sicht. Trotz allem können wir Großen noch nicht schlafen und bleiben noch wach.
Um 01:30 Uhr geschieht dann dich noch ein kleines Wunder und das Wolkenband löst sich auf. Malu ist in der Zwischenzeit aufgewacht und so stehen wir mitten in der Nacht draußen und starren in die Mitternachtssonne. Gefühlt entspricht das 20:00 Uhr zu Hause.
Vollkommen verrückt… Wenige Zeit später verschwindet dann allerdings die Sonne doch hinter der Bergkette im Nordosten. Wir stellen noch schnell eine Kamera auf das Dach unseres rollenden Zuhauses und verschwinden daraufhin ebenfalls unter der Bettdecke.

Comments

  • 8. Oktober 2016

    Hallo Martin,
    tolle Bilder – die Landschaft sieht einfach herrlich aus. Über den Surfspot habe ich tatsächlich mal eine Reportage gesehen – ich glaube, da muss man kältetechnisch echt hart in Nehmen sein. Muss mir eure Beiträge mal in Ruhe anschauen. Skandinavien steht schon lange auf meiner Wunschliste. Bisher hat es aber nur zu einem Kurztrip nach Kopenhagen gereicht…
    Viele Grüße
    Katharina

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